Schmerzen behandeln mit EMDR

Was ist EMDR?


EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing und ist eine evidenzbasierte psychotherapeutische Methode, die ursprünglich für die Verarbeitung von emotionalem Stress nach psychischer Traumatisierung entwickelt worden ist. Über EMDR können dysfunktional gespeicherte und belastende Erinnerungen neu prozessiert, desensibilisiert sowie im Gehirn neu assoziiert und heilsam integriert werden.

Bei der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen ist EMDR als wissenschaftliche Methode international anerkannt. EMDR gilt inzwischen als eine der effektivsten Methoden zur Behandlung von Traumafolgestörungen und den damit einhergehenden emotionalen Belastungen.

 

EMDR - wissenschaftlich anerkannt!

Laut Beschluss des Gutachten, § 11 PsychThG vom 6. Juli 2006, kann EMDR bei Erwachsenen als Methode zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung als wissenschaftlich anerkannt gelten. Seit dem 3. Januar 2015 wird EMDR als Psychotherapiemethode auch von den gesetzlichen Krankenversicherungen anerkannt und kann daher ganz offiziell zur Behandlung von Posttraumatischen Belastungsstörungen bei Erwachsenen angewendet und abgerechnet werden.


EMDR in der Schmerztherapie

Die Anwendung von EMDR beschränkt sich bereits seit vielen Jahren nicht mehr nur auf die Behandlung von Traumafolgestörungen, sondern erfasst inzwischen eine Vielzahl weiterer Störungsbilder, welche mit emotionalen Belastungen einhergehen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass der Einsatz von EMDR in der Behandlung chronischer Schmerzsyndrome bereits seit den Anfängen von EMDR immer wieder intensiv diskutiert worden ist. Die Gründe hierfür sind vielfältig und wohl auch im Phänomen ‚Schmerz‘ selbst begründet. Denn chronischer Schmerz wird von den Betroffenen – ganz ähnlich einem Trauma – häufig als eine Art Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren einerseits und den individuell zur Verfügung stehenden Bewältigungsmöglichkeiten andererseits erlebt. Das dadurch ausgelöste Gefühl von Kontrollverlust, Angst und Hilflosigkeit kann unter Umständen – ganz ähnlich einer Traumafolgestörung – zu einer dauerhaften Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis führen. Es liegt in dieser Hinsicht nahe, EMDR als eine effektive und etablierte Technik zur Bearbeitung von posttraumatischen Belastungsstörungen auch auf das subjektive „Schmerztrauma“ anzuwenden, das ein chronischer und damit „außer Kontrolle“ geratener Schmerz hervorrufen kann.


Wir wirkt EMDR in der Behandlung chronischer Schmerzen

Lange Zeit hatte sich das psychotherapeutische Augenmerk bei Schmerzpatienten primär auf dysfunktionale Copingstrategien und maladaptive Verhaltensmuster fokussiert. Hierbei wurde vernachlässigt, dass belastende Lebensereignisse bzw. emotionaler Distress bei chronischen Schmerzpatienten ebenfalls einen zentralen Einfluss auf Schmerzempfinden und Schmerzverarbeitung haben können. Inzwischen weiß man durch die neueren Erkenntnisse aus der Hirnforschung, dass psychische Traumata und körperliche Schmerzen auch auf neurobiologischer Ebene viele Gemeinsamkeiten besitzen.

Durch funktionell-hirnbildgebende Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass das menschliche Gehirn den durch Ausgrenzung und Demütigung hervorgerufenen seelischen Schmerz genauso wahrnimmt wie absichtlich zugefügten körperlichen Schmerz. Körperliche und seelische Schmerzen werden z. T. in den gleichen Regionen des Gehirns verarbeitet.

Körperlicher Schmerz besitzt neben der rein sensorischen Erfahrung des Schmerzes in der Regel auch eine ausgeprägte emotionale Dimension. Diese emotionale Dimension bestimmt nicht nur wesentlich, als wie schlimm oder quälend ein Schmerz empfunden wird, sondern beeinflusst ganz wesentlich auch die Aufrechterhaltung der Schmerzsymptomatik. Neuere Studien belegen zudem, dass es im Rahmen der Schmerzchronifizierung im Gehirn zu einem Shift weg von den klassischen Schmerz-verarbeitenden Gehirnregionen hin zu den Emotionsneztwerken des Gehirns kommt.

Dieser „emotionale“ Shift wird dafür verantwortlich gemacht, dass, ganz ähnlich der Wiedererlebenssymptomatik bei einer posttraumatischen Belastungsstörung, ein Schmerz sich festsetzt und nicht wieder verschwindet. Die Erkenntnis, dass Schmerz durch eine maladaptive emotionale Verarbeitung chronifizieren kann, bildet die pathophysioloigische Grundlage für die Anwendung von EMDR in der Behandlung chronischer Schmerzen: EMDR als ein etabliertes „Emotionsexpositionsverfahren“ aus der Traumatherapie kann in diesem Sinne gezielt zur Bearbeitung von emotionalem Distress bei chronischen Schmerzpatienten eingesetzt werden, um spezifisch diesen dysfunktionalen „emotionalen Shift“ zu bearbeiten. Neben diesem EMDR-spezifischen Element der „Desensibilisierung und Reprozessierung“ enthält EMDR noch zahlreiche weitere schmerztherapeutische, jedoch EMDR-unspezifische Therapieelemente (z. B. Exposition, Entspannungs- und Hypnotechniken, Verbesserung der Copingfähigkeiten, kognitive Umstrukturierung, etc.), die aufgrund des patientenzentrierten Charakters von EMDR sehr individuell auf die jeweiligen Bedürfnisse des Patientenabgestimmt werden können. Vor diesem Hintergrund vewundert es nicht, dass EMDR zunehmend auch Eingang in die Behandlung von chronischen Schmerzpatienten findet.


Wissenschaftliche Evidenz

In einer systematischen Übersichtsarbeit wurden alle zu EMDR in der Behandlung chronischer Schmerzen existierenden randomisiert-kontrollierten Studien („RCT“ – randomized controlled trials“) sowie prä/post-Beobachtungsstudien mit insgesamt über 196 Schmerzpatienten ausgewertet.

Insgesamt erfüllten zehn Beobachtungsstudien und zwei randomisierte, kontrollierte Studien die erforderlichen Einschlusskriterien. Obwohl aufgrund der geringen Fallzahlen noch keine abschließenden Aussagen über die Wirksamkeit von EMDR bei chronischem Schmerz möglich sind, so sind die darin gefundenen Ergebnisse vielversprechend. Während die meisten Daten – auch Cochrane-Daten – zeigen, dass klassische psychotherapeutische Interventionen oftmals nur geringe Effekte auf den Schmerz selbst haben, jedoch indirekt über die Reduktion von Depression und Angst die Schmerzen relevant reduzieren können, zeigen diese neuesten Daten, dass EMDR nicht nur evtl. vorhandene Komorbiditäten wie Angst, Depression und Vermeidungsverhalten verbessert, sondern auch einen direkten Effekt auf den Schmerz selbst zu haben scheint. In den Ergebnissen zeigten sich hohe bis sehr hohe Effektstärken sowohl in Hinblick auf die Schmerzsymptomatik, als auch beim Grad der Beeinträchtigung durch den Schmerz sowie der Nachhaltigkeit der Effekte. So berichten die Studien neben einer Wirksamkeit bei der Schmerzbeeinträchtigung – von hohen Effekten hinsichtlich der Schmerzreduktion und weisen zum Teil auf sehr stabile Effekte in Follow-up-Untersuchungen von bis zu 24 Monaten hin. Während bei klassischen Schmerzpsychotherapeutischen Verfahren die stärksten Effekte direkt nach Intervention vorzufinden sind und es über den Verlauf der Zeit häufig zu einer erneuten Schmerzunahme kommt, zeigten sich in den Langzeitnachuntersuchungen nach EMDR-Intervention häufig sogar eine weitere Verbesserung der Schmerzsymptomatik. Dies weist darauf hin, dass die durch EMDR erzielten Effekte auf den Schmerz stabil und nachhaltig zu sein scheinen. Jedoch fehlen bisher große multizentrische, randomisiert und kontrollierte Studien, die die Wirkung von EMDR in der Schmerztherapie in großen Patientengruppen und unter adäquaten Vergleichsbedingungen untersucht haben. Auch ist weiterhin nicht vollständig geklärt, über welche Mechanismen EMDR den Schmerz beeinflusst. Neuere Studien weisen ferner darauf hin, dass EMDR bei Patienten sehr unterschiedlich wirken kann: Während manche Patienten trotz zuvor jahrzehntelang bestehender massiver Schmerzen stärkste Effekte bis hin zur vollkommenen Schmerzfreiheit berichten, ist die Wirkung bei anderen Patienten wiederum nur gering. Welche spezifischen Subgruppen besonders von EMDR profitieren ist aktuell noch unklar. Die Aufgabe kommender Studien wird es sein, diese Subgruppen besser zu charakterisieren, damit EMDR in Zukunft in der Behandlung chronischer Schmerzen gezielter eingesetzt werden kann.

Auch sollte sich die zukünftige Forschung darauf konzentrieren, die Effekte und Wirksamkeit von EMDR in der Schmerztherapie weiter zu ergründen und wissenschaftlich zu belegen.